"Wo seit ihr die letzten zwei Wochen gewesen?"
"Italien!"
"Und seit Ihr mit dem Auto gefahren?"
"Nein, mit dem Zug!"
Die Reaktionen auf letztere Antwort ist oft nur ungläubiges Staunen oder wildes Kopfschütteln was ich meinerseits mit einem mentalen Kopfschütteln im Gehirn erwiedere! Denn wer schon von vorne herein den Zug als Reisemittel ablehnt, verpasst in Europa ganz schön was. Z. B. den Nachtexpress von München nach Napoli. Der Zug mag von aussen zwar etwas verbraucht aussehen, doch innen bietet er den bekannten Charme aus alten Agentenfilmen, wo die Schlapphüte noch mit dem Kurswagen von Moskau nach Genf oder andersherum zu fahren pflegten. An dem Abend der Abfahrt Richtung Italien war für mich sofort klar: Die Entscheidung für diesen Zug und das Abteil war mehr als richtig. Es war nicht günstig, sicher, doch welches Transportmittel bietet diesen Luxus:
- Einsteigen ohne Sicherheitscheck, der nur dazu da ist, die nutzlos gewordene deutsche Workforce weiter im Arbeitsleben zu halten (oder britische oder amerikanische oder ...)
- Vor dem Einschlafen in einem schönen horizontalen echten Bett eine Flasche Rotwein zu trinken (selbst mitgebracht) während der Zug durch die Nacht rauscht
- Einschlafen in München, aufwachen in Roma, aussteigen in Napoli - pünktlich!
- Ausgeruht die nächste Schlafgelegenheit suchen, ohne mit einem hinderlichen Auto sich durch die verstopften Strassen Napolis kämpfen zu müssen
- Verglichen mit dem Zimmerpreis in Napoli relativiert sich der Preis des Abteils relativ flott.
Das Schlafabteil am abend (Autofahrer sollten die schon halbleere Rotweinflasche beachten)
Das Schlafabteil am morgen - die Betten sind eingeklappt und das Bild oberhalb der bequemen Sitze macht schon mal Appetit auf die Endstation. Draussen fährt Italien vorbei.
Typisch italienischer Innenhof vom neuen Zimmer aus gesehen. Das Hausdesign absorbiert den starken napolesischen Strassenlärm sehr gut. Doch bei 100€ für ein Bed&Breakfast fallen die Zugkosten kaum mehr auf.
Viele scheinen der Ansicht zu sein, dass die italienische Bahn ein Chaos sein muss. Sollte jemand diese Vorstellung haben würde ich ihm empfehlen, unbedingt einmal sich auf dem Schienennetz Italiens zu bewegen. Es steht dem deutschen in absolut nichts nach. Zugfahren in Italien ist eine echte Freude.