12
Sep
2003

Bildungslücke

Wir reden ziemlich oft über Literatur. Einmal sprachen wir über die Texte, die man so in der Schule im Deutschunterricht durchnimmt. Wenige erinnern sich daran im Guten, doch mir persönlich ist durchaus ein Buch in Erinnerung geblieben: Der Homo Faber von Max Frisch. Dann fragte sie mich nach dem Faust von Goethe und ich sagte leichthin: Den kenne ich nicht! Haben wir nie lesen müssen! Bildungslücke! Das war die Antwort. Seitdem wurmte es mich. Habe ich mich doch mal wieder als typischer Bauernlümmel geoutet. Jemand der seine Jugend mehr zum Schabernack missbrauchte als zum Studium historischer Texte. Ich war mal wieder der vom Land (was ja auch stimmt), dem gelbe Reclam-Hefte ein Graus waren, die zu Hause schnell durch fragwürdigere Literatur ersetzt wurden (stimmt auch - die Mark Brandis Reihe aus der Schulbücherei gab mir schon immer viel mehr als jeder schon vor über hundert Jahren gestorbener Dichter).
Aber die Zeiten ändern sich und damit auch die Interessen. Heute lese ich immer noch Science Fiction, aber die Bücher mit dem SF auf dem Rücken machen schon längst nicht mehr 100 Prozent aus. Der Geschmack wurde breitgefächerter. Und so nahm ich obiges Erlebnis zum Anlass, mich endlich Goethe's Faust zu wiedmen. Und gleich vorneweg. Es war kein Fehler.
Schon zu Beginn im Vorspiel bemerkt man, dass der Faust recht wenig mit der klassischen Tragödie in 5 Akten zu tun hat. Diskutieren doch Theaterdirektor, Poet und der Schalk über den tieferen Sinn des Schauspiels und über die damaligen "Einschaltquote", also der Popularität des Stückes. Eine recht interessante Passage, die in der heutigen Fernsehlandschaft sehr aktuell ist. Hier wird dann auch recht schnell klar, was später folgen wird: Eine Tragödie, die den Leuten bietet, was sie wollen. Reichhaltige Bühnenaufbauten und eine Fallhöhe, wie sie tiefer kaum sein kann: Von den himmlischen Höhen in die feurige Hölle.
Faust, ein Gelehrter, steckt in einer tiefen Sinnkrise. Er weis viel und ist ein rechter Mann, doch steckt er fest in melancholischen Gedanken. Der Teufel will ihn auf seine Seite ziehen und nimmt sich ihm an. Fortan zeigt er Faust die menschlichen und fleischlichen Gelüste. Dabei lernt der Leser auch den berühmten Auerbach Keller in Leipzig (in dem man sich immer noch oder wieder volllaufen lassen kann) und späther Margerete kennen, in die sich Faust nach einem teuflischen Liebestrank Hals über Kopf verliebt. Diese erwiedert seine Gefühle, hegt jedoch eine starke Abneigung gegenüber dem "Freund" Fausts, Mephistopheles. Ihr tiefer Glaube lässt sie spüren, dass mit diesem Gesellen etwas nicht im Reinen ist. Dennoch lässt sie sich mit Faust ein. Das Ergebnis ist natürlich tragisch. Im Liebestaumel wird die Mutter Margeretes um die Ecke gebracht (wohl nicht ganz absichtlich). Das uneheliche Kind gibt eine vorzügliche Wasserleiche ab und der Bruder Gretchens stirbt durch Fausts Hand. Der gerät immer stärker in den Strudel der Hölle. Letztendlich besucht er sogar die Walpurgisnacht auf dem Brocken. Im Trubel erkennt Faust auch seine Geliebte Gretchen als geköpfter Geist. Er wendet sich an den Teufel, um ihm bei der Befreiung Margaretes zu helfen, doch sie hat sich dem Tode schon hingegeben und folgt Faust nicht aus dem Kerker. Dieser flieht letztendlich mit Mephistopheles und übergibt Gretchen damit dem Henker.
Die Dichtung der Tragödie ist sicher nicht so einfach zu lesen wie ein Roman unserer Tage. Trotzdem hat es mir Spass gemacht. Man bemerkt recht schnell, das Goethe nicht verklemmt war und eine recht derbe Wortwahl hatte. Eigentlich etwas, was ich nicht erwartet hatte. Das ungleiche Paar Teufel und Gelehrter macht jedoch ein Grossteil des Reizes aus. Der Höhepunkt des Stückes ist mit Sicherheit die Walpurgisnacht. Da geht es richtig rund. Als Leser ist man gespannt, wie ein Regisseur dieses Stück auf die Bühne bringt. Sprich Goethe macht auch heute noch Appetit auf einen Theaterbesuch.
Auf eine tiefere Interpretation des Stückes verzichte ich an dieser Stelle. Es wird schon viel geschrieben worden sein. Vieles von diesem wiederrum wird im Weltnetz verewigt sein. Und die gängigen Suchmaschinen sollten es gut finden. Zudem schrieb diese Zeilen ein Bauernlümmel, der lieber von verglühenden Raumschiffen liest als sich über klassische Theaterstücke das Hirn zermartert. Den Deutschunterricht habe ich ja schon länger hinter mir ;-)
Buchdaten:
Johann Wolfgang Goethe
Faust
Der Tragödie Erster Teil
Philipp Reclam jun. Stuttgart
Universal Bibliothek Nr. 1
© 1986, 2000 Philipp Reclam jun. GmbH & Co., Stuttgart
Durchgesehene Ausgabe 2000
auf der Grundlage der neuen amtlichen Rechtschreibregeln
Gesamtherstellung: Reclam, Ditzingen. Printed in Germany 2002
ISBN 3-15-000001-7
Und übrigens: Neben Reclam ist auch Universal-Bibliothek eine eingetragene Marke - ach wie schön!
Den Verlag kann man unter http://www.reclam.de virtuell besuchen.
Die Grundlage der vorliegenden Ausgabe folgt der Edition:
Johann Wolfgang Goethe: Faust-Dichtungen. Bd. 1: Texte.
Hrsg. von Ulrich Gaier. Stuttgart: Reclam, 1999.
Ihr liegt der Faust-Text im 12. Band der Ausgabe letzter Hand (Goethe's Werke, Stuttgart/Tübingen: J. G. Cotta, 1828) zugrunde.
Morrissey - 12. Sep, 16:22

hmm,

ebenfalls als Dorfwesen, das die Goetheversion von "Faust mit Maid" erst nach der Schule mal durchgestöbert hat, nem ich's mir mal raus, ne Zusatzempfehlung zur Faust-Geschichte abzugeben, die recht nette Fragen und teils einen gut ironischen Unterton hat...
Thomas Mann" Dr. Faustus"

skaifyomonul - 13. Sep, 22:44

Dr. Faustus

okay, dann schauen wir mal. Das Buch ist bestellt und sobald es da ist, kann man mal drin stöbern. Bin mal gespannt, Herr Morrissey! Ist Deine Freundin schon bei Dir?
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